Hype um Abnehmspritze außer Kontrolle? / „team.recherche“-Doku des SWR: „Skinny um jeden Preis – wer profitiert vom Abnehm-Hype?“ ab 1.10.2025 in der ARD Mediathek

„team.recherche“ deckt fragwürdiges Online-Geschäft auf / Neue „team.recherche“-Doku des SWR: „Skinny um jeden Preis – wer profitiert vom Abnehm-Hype?“ ab Mittwoch, 1. Oktober 2025, in der ARD Mediathek

Im Internet hat sich ein fragwürdiger Markt mit Abnehmspritzen etabliert. Dem „team.recherche“ des SWR ist es gelungen, sich auf mehreren medizinischen Online-Plattformen für eine gesunde und normalgewichtige junge Frau Rezepte ausstellen zu lassen und Abnehmspritzen zu kaufen. Dabei sind die entsprechenden Spritzen verschreibungspflichtig und lediglich für die Behandlung etwa von Diabetes Typ 2 oder Adipositas zugelassen. Experten warnen vor schwerwiegenden Nebenwirkungen.

Abnehmspritzen per Online-Fragebogen

Die Reporterinnen haben bei fünf Portalen den Selbstversuch gemacht. Die Portale werben unter anderem mit Slogans wie „Mit Abnehmspritze zum Wunschgewicht“ und „Neue Abnehmspritze kaufen“. Das Prinzip ist dabei bei mehreren Plattformen das gleiche: Interessierte müssen einen Fragebogen ausfüllen. Neben allgemeinen Angaben etwa zu Geburtsdatum, Größe und Gewicht gibt es Fragen zu Vorerkrankungen sowie Hinweise zu Nebenwirkungen und Gebrauchsbestimmungen der Spritzen. Mit wenigen Klicks lässt sich der Fragebogen ausfüllen und die Spritzen können gekauft werden.

Das „team.recherche“ des SWR hat im Laufe dieses Prozesses mehrfach falsche Angaben gemacht. Unter anderem haben sie ein höheres Gewicht vorgetäuscht. Eine direkte Kommunikation mit einem Arzt fand nicht statt, weder per Mail, per Videoschalte oder per Telefonat. Im Ergebnis erhielten die Reporterinnen bei zwei der fünf Portale tatsächlich Rezepte und schließlich Abnehmspritzen per Post: einmal die Spritze „Mounjaro“ des Herstellers „Ely Lilly“ für 387,92 Euro und einmal „Ozempic“ des Herstellers „Novo Nordisk“ für 199 Euro. Beide Spritzen sind zur Behandlung von Diabetes Typ 2 zugelassen, „Mounjaro“ auch für Adipositas und – sofern gewichtsbedingte Begleiterkrankungen vorliegen – auch für Übergewicht. Die Rezepte wurden in beiden Fällen von Ärzten ausgestellt, die im Ausland ansässig sind.

Ernährungsmediziner: „Ich kann hier nur warnen“

Im Interview mit dem „team.recherche“ des SWR zeigen sich mehrere Experten erstaunt, wie einfach Interessenten über solche Portale an Abnehmspritzen kommen und äußern deutliche Kritik. „Ich kann hier nur warnen“, urteilt etwa Ernährungsmediziner Professor Hans Hauner von der Technischen Universität München. Er kritisiert, dass die Spritzen allein auf Basis von Selbstangaben verordnet werden. „Es ist kinderleicht sich ein Rezept zu besorgen und das ist natürlich bedenklich, weil damit dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist“. Die Abnehmspritzen hätten alle gewisse Nebenwirkungen. In Einzelfällen seien Betroffene sogar schon mit Komplikationen notfallmäßig in Kliniken eingewiesen worden. Hinter dem Fragebogen-Prinzip vermutet der Ernährungsmediziner vor allem finanzielle Motive. „Ich würde tatsächlich unterstellen, dass es hier natürlich um schnelle Kohle geht.“

Verbraucherzentrale: „Lifestyle-Kundinnen im Blick“

Ähnliche Kritik an den medizinischen Plattformen und am Fragebogen-Prinzip kommt von Verbraucherschützern. „Man kommt zu leicht an die Spritzen“, kritisiert Gesa Schölgens von den Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen. „Unser Eindruck ist, dass viele dieser Anbieter nicht wirklich auf Patientinnen mit Adipositas zielen, sondern eher Lifestyle-Kundinnen im Blick haben.“ Die Verbraucherschützer kritisieren insbesondere, dass die Ärzte, die die Rezepte ausstellen, in den betreffenden Fällen im Ausland sitzen. „Man weiß als Patientin nicht, wer am Ende das Rezept ausstellt“, so Schölgens im Interview mit „team.recherche“. „Also diese ganze Arzthaftungsfrage ist auch ziemlich undurchsichtig. Das ist natürlich auch problematisch, dass man gar nicht weiß, wer ist denn jetzt mal Ansprechpartner, wenn irgendwie Probleme auftauchen?“

Bundesärztekammer: „Ausfüllen eines Fragebogens nicht ausreichend“

Die Bundesärztekammer teilte zu der Recherche auf Anfrage mit, man könne sich zu konkreten Angeboten nicht äußern. Außerdem könne man nicht beurteilen, unter welchen Voraussetzungen Ärztinnen und Ärzte im jeweiligen EU-Ausland Medikamente verschreiben dürften. Nach deutschem Berufsrecht setze die Einhaltung der erforderlichen ärztlichen Sorgfalt mindestens voraus, dass die Indikation einer Verordnung aufgrund des persönlichen Arzt-Patienten-Gesprächs gewissenhaft geprüft werde. „Das Ausfüllen eines Fragebogens ohne persönlichen Kontakt zwischen Patienten und Ärztin oder Arzt ist nicht ausreichend“, so die Bundesärztekammer gegenüber dem „team.recherche“ des SWR.

Medizin-Plattformen äußern sich nicht

Die beiden Portale, über die die Reporterinnen die beiden Abnehmspritzen bekamen, ließen die Anfragen von „team.recherche“ unbeantwortet. Die beiden Hersteller der Spritzen, „Ely Lilly“ und „Novo Nordisk“ distanzierten sich auf Anfrage von der Verwendung ihrer Abnehmspritzen als Lifestyle-Produkte. Man spreche sich ausdrücklich gegen den Einsatz aus kosmetischen Gründen aus, betont etwa „Ely Lilly“. „Novo Nordisk“ teilte ebenfalls mit, man unterstütze keine Nutzung zu kosmetischen Zwecken und habe schon Anbieter von eHealth-Leistungen abgemahnt.

„team.recherche“-Doku „Skinny um jeden Preis – wer profitiert vom Abnehm-Hype?“

Der Selbstversuch ist Teil einer umfangreichen Recherche zum Geschäft rund ums Abnehmen. Die Doku des neuen investigativen ARD-Formats „team.recherche“ behandelt neben dem Hype um die Abnehmspritze auch die Rolle von Social Media-Plattformen, insbesondere von TikTok. So sind die Reporterinnen beispielsweise auch der Frage nachgegangen, welche Auswirkung die Sperrung des Hashtags #skinnytok hat. TikTok hatte den Hashtag, unter dem vor allem junge Frauen teils extreme Diät- und Abnehmtipps geteilt hatten, nach politischen Diskussionen weltweit gesperrt.

Doch die Doku von „team.recherche“ des SWR zeigt: Die Sperrung lässt sich durch minimale Änderungen der Schreibweise leicht umgehen. So finden sich vergleichbare Inhalte nach wie vor auf der Plattform, geteilt unter Hashtags wie #sk1nnytok, #skinnytoc oder #skinnitok. TikTok äußerte sich auf Anfrage von „team.recherche“ nicht zu der Umgehung des gesperrten Hashtags. Das Unternehmen antwortete nur allgemein und teilte unter anderem mit, man erlaube keine Inhalte, die Essstörungen oder gefährliche Verhaltensweisen zur Gewichtsabnahme fördern und beschränke den Zugang zu Videos, die bestimmte Körpertypen idealisierten.

team.recherche ist das neue investigative Doku-Format der ARD für die Mediathek. Junge Reporter-Teams von BR, MDR, NDR, SR, SWR und WDR liefern monatlich exklusive Recherchen mit starkem Storytelling. Im Fokus stehen die Recherchen zu gesellschaftlich relevanten Themen – spannend und nah erzählt. Federführer der Formatredaktion sind BR und SWR. „team.recherche“ ist eine Weiterentwicklung der Formate „Vollbild“ (SWR) und „Dirty Little Secrets“ (BR).

Die ganze Recherche „Skinny um jeden Preis – wer profitiert vom Abnehm-Hype?“ ist ab Mittwoch, 1. Oktober 2025, in der ARD Mediathek zu sehen unter https://1.ard.de/teamrecherche_abnehm-business

Pressefotos unter Labo M Transfer – Shared files (https://transfer.labo-m.com/web/client/pubshares/Uf9NprytmihkLsk65HA3za/browse) oder auf ARD-foto.de

Infos auch auf: http://swr.li/team-recherche-skinny-um-jeden-preis

Rückfragen der Presse bitte an die SWR-Redaktion von „team.recherche“ unter 06131 929 33352.

Original-Content von: SWR – Südwestrundfunk, übermittelt durch news aktuell

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