Abdulrazak wer? Das dürfte die Reaktion etlicher Kulturfreunde gewesen sein, nachdem die Schwedische Akademie den Gewinner des diesjährigen Literaturnobelpreises bekanntgegeben hatte – insbesondere in Deutschland. Der tansanisch-britische Schriftsteller ist hierzulande recht unbekannt. Nur fünf der zehn Romane, die Abdulrazak Gurnah seit 1987 geschrieben hat, wurden ins Deutsche übersetzt. Der letzte im Jahr 2006. Nun kann man sich fragen, ob die Akademie eine zu abseitige Wahl getroffen hat: Schließlich hätte es, wenn der Wunsch nach einer Würdigung afrikanischer Literatur ausschlaggebend war, mit dem kenianischen Autor Ngugi wa Thiong o einen heiß gehandelten Favoriten gegeben, der als einer der bedeutendsten Schriftsteller Ostafrikas anerkannt ist. Nicht zuletzt von Gurnah, der sich als Literaturprofessor wiederholt mit Wa Thiong o befasst hat. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass er nun vor dem von ihm verehrten Autor den Nobelpreis erhält. Trotzdem ist diese Wahl höchst interessant. Gurnah kann durch seine Exil-Erfahrung, die Tatsache, dass er selbst als Flüchtling nach Großbritannien kam, eine Brücke zwischen Afrika und Europa bilden: Sein Werk beleuchtet die Folgen des Kolonialismus auf beiden Kontinenten. Und das betrifft zentral auch Deutschland: Schließlich war Tansania jahrelang eine deutsche Kolonie. Gurnahs aktuellster Roman, „Afterlives“, spielt in „Deutsch-Ostafrika“. Er sollte jetzt schleunigst übersetzt werden, dann bietet er der deutschen Kulturgesellschaft eine große Chance: Die Auseinandersetzung mit einem Kapitel deutscher Geschichte, das bis heute viel zu oft verdrängt wird.
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