WAZ: Ehre mit bitterem Beigeschmack. Kommentar von Jens Dirksen

Ein Weltliterat wie Bert Brecht hat ihn nicht
bekommen, genauso wenig wie James Joyce. Und nun steht auch der große
amerikanische Romancier und Kritikerliebling Philip Roth mehr denn je
davor, den Literaturnobelpreis nicht bekommen zu haben. Vielleicht
ist es ja die größere Auszeichnung, die nur wahre Ausnahme-Literaten
trifft.

Eine bittere Ehre ist es allemal. Genährt wiederum von der
diesjährigen Entscheidung des Nobelkomitees in Stockholm. Keine
Frage, der neue Preisträger Tomas Tranströmer ist ein guter Lyriker.
Aber Poeten dieser Güteklasse leben fast in jedem Land dieser Erde.
Und die allermeisten sind völlig unbekannt, jedenfalls den
allermeisten Lesern. Das scheint diesmal, nach dem beliebten Peruaner
Mario Vargas-Llosa vor einem Jahr, den Ausschlag gegeben zu haben.
Oder eine Allergie gegen die USA, deren letzte Preisträgerin vor fast
20 Jahren Toni Morrison war.

Nein, der Nobelpreis ist kein Pferderennen und auch keine
Literatur-Weltmeisterschaft. Und doch hat sich das fünfköpfige
Komitee der Schwedischen Akademie in diesem Jahr in eine unselige
Tradition gestellt. Oder sagt Ihnen etwa der Name Sully Prudhomme
etwas? Keine Sorge, die Frage taugt als 500 .000-Euro-Hürde bei
Günther Jauch. Denn Sully Prudhomme wäre heute völlig zu Recht
vergessen. Wenn er nicht zufällig 1901 den ersten
Literatur-Nobelpreis bekommen hätte.

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