Definition und Pathogenese
Myiasis wird bei Kaninchen durch den Befall mit Larven (Maden) verschiedener Fliegenarten
(häufig Lucilia sericata, aber auch andere Schmeiß- und Fleischfliegen) verursacht. Sie tritt in
Mitteleuropa nur im Sommer auf, wenn die Fliegen aktiv sind und ihre Eier auf der
Körperoberfläche oder in Wunden der Tiere sowie gelegentlich auch in Körperöffnungen
ablegen. Angelockt werden die Fliegen von offenen Wunden, aber auch dem Geruch von
Kot oder Harn. Sie lassen sich vornehmlich an warmen, feuchten Körperstellen, z. B. um den
Anus auf kotverschmutzten Haaren, nieder.
Gefährdet sind daher entsprechend vor allem langhaarige Tiere, Tiere mit Durchfall oder
Harninkontinenz, die zu stärkerer Fellverschmutzung neigen, und Tiere in Außenhaltung. Auch
ältere, bewegungseingeschränkte oder übergewichtige Kaninchen sind häufiger befallen.
Dasselbe gilt für Tiere mit Zahnproblemen, die Schwierigkeiten haben, ihr Fell zu pflegen oder
Zäkotrophe abzunehmen.
Ein Fliegenweibchen legt bis zu 200 Eier ab, aus denen innerhalb von Stunden die Erstlarven
schlüpfen. Diese beginnen anschließend, sich vom Gewebe der befallenen Tiere zu ernähren
und von der Oberfläche aus in tiefere Gewebeschichten vorzudringen. Dabei sondern sie
Stoffe ab, die das Gewebe zersetzen, sodass sich die Maden häufig unter der Haut von der
Eiablagestelle her über den Tierkörper verbreiten. Sie können auch ins Rektum und
anschließend in die Becken- und Bauchhöhle vordringen und dort eine akute schwere
Bauchfellentzündung verursachen.
Symptome und Behandlungsoptionen
Häufig bleibt ein Madenbefall zunächst unbemerkt, weil sich die Fliegenlarven an
Körperstellen an der Hinter- und Unterseite der Tiere zurückziehen. Die Myiasis wird oft erst
festgestellt, wenn der Befall bereits fortgeschritten ist und die Kaninchen Inappetenz, Apathie,
Zähneknirschen und andere Anzeichen von Unwohlsein und Schmerz zeigen. Madenbefall ist
ein Notfall in der Kleintierpraxis, und nicht selten bleibt in schweren Fällen nur die Euthanasie
der Tiere.
Therapeutisch sind die Maden beim sedierten (ggf. anästhesierten) Tier zügig und vollständig
chirurgisch zu entfernen. Dies gilt auch für die verschmutzten Haare und das untergehende
Gewebe. Eine großflächige Wundsanierung und eine Antibiose sind unter Umständen
ebenfalls notwendig. Um nicht erreichbare Maden abzutöten, können umgewidmete
gewebegängige Insektizide wie Ivermectin (0,4 mg/kg s.c.), Selamectin (6 mg/kg spot-on),
Doramectin (0,5 mg/kg s.c.) oder Nitenpyram (1 mg/kg oral) eingesetzt werden. Dabei ist auf
eine systemische Reaktion durch absterbende Maden zu achten.
Die Gabe von Corticosteroiden wird in der Literatur kontrovers diskutiert, ist aber potenziell
hilfreich, um Schwellungen und Schmerzen bei Myiasis zu reduzieren und einem
anaphylaktischen Schock durch absterbende Maden vorzubeugen. Auf jeden Fall sollten
nichtsteroidale Antiphlogistika, z. B. Meloxicam, zur Schmerzlinderung angewandt werden. Ein
antiseptisches Vollbad ist aufgrund des Stresses und der Verletzungsgefahr für das Tier bei
Stürzen nur in Ausnahmefällen empfehlenswert. Unter einer Wärmelampe werden die Maden
häufig hervorgelockt, sodass sie leichter entfernt werden können.
Prophylaxe
Prophylaktisch ist auf eine artgerechte und ausgewogene Fütterung und gute
Zahngesundheit zu achten, um Verdauungsstörungen vorzubeugen. Die Einstreu von
Ausläufen muss trocken gehalten und gegebenenfalls häufiger gewechselt werden, da Kot
und Harn die Fliegen anlocken. An Außengehegen für Kaninchen sollten, wenn möglich,
Fliegengitter angebracht werden. Außerdem ist es sinnvoll, Kaninchen im Sommer mindestens
einmal täglich, vor allem um den Anus herum, auf Verschmutzungen und Madenbefall zu
überprüfen. Das Fell der Tiere muss sauber und trocken gehalten werden. Verletzungen sind
zu versorgen und abzudecken.
Regelmäßige Gesundheitschecks sind auch für Kaninchen empfehlenswert, und eine
Aufklärung über häufige Kaninchenkrankheiten sowie deren Vorbeugung empfiehlt sich als
Bestandteil des Besitzergesprächs.
Frau Professor Dr. Anja Joachim ist Leiterin des Instituts für Parasitologie an der
Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni Vienna). Zudem ist sie Mitglied der
unabhängigen Expertenorganisation ESCCAP (European Scientific Counsel Companion
Animal Parasites) und nationale Vertreterin von ESCCAP Österreich.
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