König Salomon, die Königin von Saba, die Uta aus Naumburg und der
Joachim aus Reims schlummerten bei den Kunstgeschichtlern der
Universität Bonn Jahrzehnte im Dornröschenschlaf. Doch die
Gipsabgüsse wertvoller Skulpturen und Bauplastiken aus dem
Mittelalter und der Renaissance sind inzwischen gefragt wie nie: Für
die forschungsnahe Lehre und außerdem für Ausstellungen in
verschiedenen Städten.
Wer in der Abteilung Kunstgeschichte im Hauptgebäude der
Universität Bonn über knarrende Holzwendeltreppen emporsteigt, die
nach Leder und gealtertem Papier riechende Bibliothek im Spitzboden
aufsucht oder durch die Flure wandelt, begegnet historischen Figuren
auf Schritt und Tritt – in Form von Abgüssen. Rund 300 Gipse sind
hier versammelt. Wie eine Ausstellung mutet die Eingangshalle der
kunsthistorischen Abteilung im Westflügel des früheren Stadtschlosses
an. Hier sind geschützt in Glasvitrinen lebensgroße Abgüsse von
Ekkehard und Uta, den berühmtesten der Stifterfiguren aus dem
Westchor des Naumburger Doms, und von König Heinrich II. vom
Bamberger Dom zu sehen.
„Fotos oder Zeichnungen von Skulpturen vermitteln nie ein
vollständiges Bild“, sagt Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck,
Professor für Kunstgeschichte an der Universität Bonn. „Ein
Gipsabguss gibt dagegen den räumlichen Eindruck und die wirkliche
Größe des Exponats eins zu eins wieder.“ Der Wissenschaftler schwört
deshalb auf die Abgüsse und nutzt sie intensiv für die Lehre. Leicht
gebückt fährt der Professor eine Skulptur auf einem Rollwagen heran.
Die meisten Gipsplastiken stehen auf solchen fahrbaren Untersätzen.
Im Übungsraum stellt der Kunstgeschichtler sie dann nach den
jeweiligen Themengebieten für die nächste Vorlesung zusammen – Lehre
zum Anfassen gewissermaßen.
Wichtige Skulpturen aus verschiedenen Städten an einem einzigen
Ort
„An einem einzigen Ort, sämtliche wichtigen Skulpturen
kennenzulernen, geht nur hier“, sagt Prof. Wolter-von dem Knesebeck
verschmitzt. „Denn in Wirklichkeit wird man nie Skulpturen aus Köln,
Mailand, Amiens, Naumburg und Bamberg zusammen betrachten können,
weil die Originale an verschiedenen Kirchengebäuden und Kathedralen
vorkommen.“ Teilweise sind die Skulpturen auch in einer solchen Höhe
in die Fassade der Baudenkmäler integriert, dass sie kaum zugänglich
sind. „Natürlich geht nichts über die Aura des Originals“, räumt der
Kunstgeschichtler ein. Doch viele der Skulpturen sind durch Kriege
oder Naturkatastrophen zerstört – die Abgüsse haben aber überlebt.
Professor Paul Clemen, der von 1902 bis 1937 an der Bonner
Universität wirkte, baute die Abguss-Sammlung systematisch auf –
neben der der Archäologen handelt es sich dabei um die zweite
universitätseigene Sammlung von Gipsen. Darunter waren von
Michelangelo der Gefesselte Sklave sowie von Donatello der heilige
Georg und der Bronze-David. Im Jahr 1911 zog die Sammlung in die
„Skulpturenhalle“, dem mit Glas überdachten und Licht durchfluteten
Innenhof im Westflügel des Universitäts-Hauptgebäudes. Viele Werke
aus dem Mittelalter und der Renaissance waren zu sehen, darunter
Abgüsse von Figuren des Kölner und des Naumburger Doms sowie des
Bamberger Reiters. Bauplastiken ergänzten die Sammlung.
Der Zweite Weltkrieg riss eine große Lücke in die Sammlung
Allerdings riss der Zweite Weltkrieg eine große Lücke in die
kunstgeschichtliche Gipsabguss-Sammlung der Bonner Universität. Am
25. Oktober 1944 fiel die Skulpturenhalle Fliegerbomben zum Opfer.
Nur etwa die Hälfte der Abgüsse überstand den Angriff weitgehend
unbeschadet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Gipse in undichten
Kellern und Dachböden zwischengelagert, wodurch es teilweise zu
Wasserschäden und Verschmutzungen kam. Überliefert sind auch die
Folgen von Studentenstreichen: Eine Frauenskulptur überlebte vor
vielen Jahren zwar eine ausgelassene Party, trägt seitdem aber eine
rosa Gesichtsfarbe und einen schwarzen Schnurrbart.
„Der inzwischen emeritierte Professor Heijo Klein hat sich als
erster wieder einer stärkeren Bewusstmachung der Sammlung
verschrieben“, sagt Prof. Wolter-von dem Knesebeck, der ebenfalls die
Gipsabguss-Sammlung wieder aufbauen möchte. „Ich verwende einen Teil
meiner Berufungsmittel für Neuanschaffungen“, berichtet er. Rund 50
weitere Gipse will der Kunsthistoriker in Berlin zukaufen, kürzlich
kamen als private Spenden die Büste einer aragonesischen Prinzessin
des Renaissancebildhauers Francesco Laurana und ein Relief mit dem
Brustbild des Würzburger Fürstbischofs Julius Echter von 1576 dazu.
Martin Neubacher, Mitarbeiter an der Kunsthistorischen Abteilung,
erstellt zur Zeit einen Katalog mit sämtlichen Abgüssen der
Abteilung. „Es ist faszinierend, mit den Gipsen zu arbeiten“, sagt
Neubacher. „Anhand der Stücke lässt sich auch die Geschichte des
kunstgeschichtlichen Instituts sehr gut nachvollziehen.“
Bonner Abgüsse sind für verschiedene Ausstellungen gefragt
Die Abguss-Sammlung ist gefragt. Für Ausstellungen werden die
Gipse in letzter Zeit verstärkt nachgefragt. So ist derzeit ein
selbst als Dauerleihgabe nach Bonn gekommenes Kirchenmodell von St.
Michael in Hildesheim in der Domschatzkammer und im Diözesanmuseum in
Osnabrück anlässlich der 1000-Jahr-Feier der ehemaligen Stiftskirche
Sankt Johann zu sehen. In Naumburg wird auf der gerade angelaufenen
Ausstellung zum Naumburger Meister ebenfalls ein Stück der Bonner
Kunsthistoriker gezeigt – ein Kapitell mit sehr lebendigem Blattdekor
aus der Kathedrale von Reims.
Gipsabgüsse dienten wohl auch schon im Mittelalter bei den
Künstlern als Vorlagen. Einen Hinweis hierauf gibt die „Sybille“ aus
dem Bamberger Dom: „Die Frauenfigur verfügt über einen ungewöhnlich
mächtigen Adamsapfel“, merkt Prof. Wolter-von dem Knesebeck an. „Es
wird vermutet, dass ihr ein mittelalterlicher Abguss einer
Königsfigur aus Reims Pate stand.“ So wurde damals offenbar nicht
abgekupfert, sondern abgegipst. Bald gehen auch Bonner Abgüsse von
Figuren des Chorgestühls des Kölner Doms und vom Fürstenportal in
Bamberg nach Mainz auf Reisen. Das dortige Dommuseum plant eine
Ausstellung zum Lachen im Mittelalter. „Wenn wir unsere Abgüsse
ausleihen, trägt das auch zum Erhalt der Sammlung bei“, sagt Prof.
Wolter-von dem Knesebeck. „Der Leihnehmer übernimmt nämlich die
Kosten für die Restaurierung der Stücke.“
Die Abgüsse sind während der Öffnungszeiten der Kunsthistorischen
Abteilung, in den Semesterferien von Montag bis Freitag von 9 bis 19
Uhr im Universitäts-Hauptgebäude, Regina-Pacis-Weg 1, zu sehen. Die
Eingangshalle befindet sich im Westflügel, Zugang vom Hofgarten aus.
Bilder zu dieser Pressemitteilung unter
http://www3.uni-bonn.de/Pressemitteilungen/223-2011
Pressekontakt:
Prof. Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck
Institut für Kunstgeschichte und Archäologie
Tel.: 0228/734781
E-Mail: hwolter@uni-bonn.de