Neue OZ: Kommentar zu Literatur / Grass / Geburtstag

Gestritten und gelitten

Günter Grass darf nicht als Denkmal bewundert, er muss selbst wie
ein Roman gelesen werden. Denn der Autor, der wie kein zweiter
Schriftsteller seine Rolle als moralische Instanz entworfen hat,
verkörpert in Wirklichkeit, was er kritisiert, die Geschichte
Deutschlands mit ihren Defiziten und Möglichkeiten. Grass ist
ärgerlich in seinen Irrtümern, groß in seinen Geschichten. Er hat
gefehlt, als er sich allzu spät an seine Vergangenheit als blutjunger
SS-Soldat erinnerte. Er hat aufgeklärt, als er mit der „Blechtrommel“
ein deutsches Jahrhundertbuch verfasste. Grass hat gestritten und
gelitten, gewagt und gehofft. Er hat die deutsche Geschichte der
letzten Jahrzehnte nicht nur erzählt und kommentiert, er hat sie auch
durchkämpft. Über Grass mag man sich ärgern, an Grass mag man sich
freuen. Was bleibt, ist der Repräsentant, nicht als entrückte Figur,
sondern als Mensch mitten unter uns. Herzlichen Glückwunsch, ihm und
uns!

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