Visionär Goethe
Lange galt der Gelehrte Faust als Inbegriff der Strebsamkeit und
des Fortschritts. Teufels-Pakt und Gretchen-Tragödie taten dieser
Verehrung keinen Abbruch. Mit „Faust II“ konnte man daher nicht viel
anfangen. Erst seit wenigen Jahren, angeregt von der
Goethe-Forschung, setzt sich auf der Bühne ein anderes Faust-Bild
durch. Beide Teile sind ohneeinander nicht mehr zu denken. Weil
Goethe 60 Jahre lang mit dem Faust-Stoff und dessen zwei Zeitebenen –
rasendem Fortschritt und dem innehaltenden, reflektierenden
Augenblick – gerungen hat. Vielleicht öffnet erst unsere Zeit mit
ihrer entfesselten globalen Beschleunigung uns die Augen für den
Visionär Goethe. Der manche fatale Folge des Raffens und Rasens
vorhergesehen hat.
Die Salzburger Inszenierung beweist, wie erhellend es sein kann,
Klassiker immer wieder auf ihre Aussagekraft für die Gegenwart zu
befragen. Denn ein heller Kopf wie Goethe hat längst Korrekturen für
Fehlentwicklungen mitbedacht. Wenn Politik und Wirtschaft diese
Rezepte nicht liefern, lohnt der Gang ins Theater – immer öfter.
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