Normalerweise berichten wir im Vorfeld einer
großen Premiere über das Stück. Heute machen wir eine Ausnahme. Denn
viele Menschen – von den Mitwirkenden bis zum Publikum – beschäftigt
seit Monaten etwas ganz anderes: die peinliche Pietätlosigkeit am
Gärtnerplatztheater. Es geht um die Ankündigungskarten („Flyer“) zur
neuen Premiere von Prokofjews Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“,
die morgen (Freitag) über die Bühne gehen soll. Hier ist als Dirigent
des Stücks David Stahl angegeben, der ehemalige Chefdirigent des
Hauses. Stahl ist allerdings am 24. Oktober vorigen Jahres an Krebs
gestorben. Einen Monat nach seiner Frau, kurz vor seinem 61.
Geburtstag. Und bis heute haben die Verantwortlichen des Hauses den
Flyer nicht neu gedruckt – mit dem Namen des neuen Dirigenten,
Anthony Bramall. Im Theater liegen die alten Karten bis heute aus, im
Vorraum und am Bühneneingang. Obwohl Musiker und Besucher darauf
hingewiesen haben. Albert Ginthör vom Orchestervorstand: „Vielleicht
bin ich da besonders sensibilisiert, weil David Stahl und ich
befreundet waren. Doch es gibt viele andere Stimmen, die mit
Befremden auf die Flyer reagieren.“ So sei einer Besucherin
beschieden worden, die auf den Fauxpas hingewiesen hatte: „Sie
schauen aber genau hin!“ Das Orchester hätte sicherlich aus seiner
eigenen Kasse die Neukosten aufgebracht, so Ginthör. Passiert ist
dennoch nichts. Dabei ist ein Neudruck geradezu lächerlich billig:
Eine Auflage von 5000 Stück (DIN-A6, Bilderdruck glänzend) kostet bei
der Internet-Druckerei „Flyer-alarm“ 35,53 Euro. Lieferzeit: drei bis
vier Werktage. Zur Erinnerung: David Stahl ist seit sechseinhalb
Monaten tot. 35,53 Euro und vier Werktage Wartezeit, um die Pietät zu
wahren. Pressesprecherin Anke Michaelis auf tz-Nachfrage: „Wir
wollten auf die ersten Bilder der Inszenierung warten. Dann werden
wir neue Flyer drucken.“ Warum so lange? „Wir haben uns eben so
entschieden.“ Übrigens: Heute sollen die Flyer endlich da sein …
Professioneller hingegen geht“s musikalisch zu: Anthony Bramall probt
mit Leidenschaft („Das klingt sehr saftig, wie Orangen eben schmecken
müssen“), alle Mitwirkenden sind mit Feuereifer dabei. Klar, dass
sich Bramall aus der Diskussion raushält: „Ich bin vollkommen
zufrieden damit, dass jetzt neue Karten gedruckt werden“, sagt der
Dirigent zur tz. Deutliche Worte findet hingegen Ginthör: „Die
Orchestermusiker gehen täglich beim Bühneneingang an den Karten
vorbei und werden täglich mit dieser Peinlichkeit konfrontiert. Das
ist pietätlos – und vor allem auch re-spektlos gegenüber dem neuen
Dirigenten.“ Bleibt zu hoffen, dass morgen zumindest künstlerisch
alles gut wird.
Petra Markovic, Matthias Bieber
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