So manch einer streckt während der Fahrt die Hand nach vorne zum Kutscher aus, um zu testen, ob der echt ist. Während dieser die Kutsche durch die Altstadt und das umliegende Pfaffenthal lenkt, erzählt er – auf Wunsch auf Deutsch, Englisch, Französisch oder Luxemburgisch – was vor 150 Jahren im alten Luxemburg gerade los war. Da laufen Katzen umher und Vögel fliegen durch die Luft. Man sieht das imposante, nicht einzunehmende Bollwerk – die Festungsanlage, die heute nicht mehr steht. Sie bildet die inhaltliche Basis für die Tour: 1867 zitterte Luxemburg vor Napoleon III., der das Großherzogtum kaufen wollte, was ihm zum Glück nicht gelang. Das Datum markiert das Ende Luxemburgs als Festungsstadt. Einer Stadt, die lange unter Machtkämpfen und Belagerung verschiedener europäischer Staaten zu leiden hatte. Der daraus resultierende Abriss der Festung war ein wichtiger Akt für Luxemburg, das sich in der Nachfolgezeit als eigenständiger, neutraler Staat immer mehr emanzipierte.
Werden die Brillen in Zukunft zum Leben einfach dazu gehören? „Ganz sicher“, ist Johannes Berdin überzeugt. „Wobei die VR-Brillen mit der Zeit sicherlich noch kleiner und noch leistungsfähiger werden. Unsere Erfahrung ist, dass die Leute unheimlich gut mit den Brillen zurechtkommen und nach einiger Zeit gar nicht mehr merken, dass sie eine aufhaben. Eine ähnliche Entwicklung gibt es ja zum Beispiel auch in Museen. Dort kann man sich heute kaum noch eine Führung ohne Audio-Guide vorstellen. Anfangs haben die Leute da noch etwas komisch geschaut“, so der Experte, der zwischen seinen Büros in Kaiserslautern und Luxemburg pendelt.
Nach rund zwei Kilometern endet die Fahrt vor der (nicht mehr vorhandenen) historischen ersten Wachstation. „Was wollt Ihr hier?“ wird der Kutscher vom Wachmann gefragt, der im Befehlston fordert: „Besser, Ihr zieht jetzt eure Brille ab!“ In einem verglasten Panoramalift gleiten die Besucher dann bequem in die Oberstadt und damit wieder in die reale Welt zurück.
Entwickelt wurde die zukunftsweisende Tourismus-Innovation gemeinsam mit dem „Service des technologies de l’information et de la communication“ der Stadt Luxemburg und dem Kaiserslauterner Start-up-Unternehmen Urban Timetravel. Das Unternehmen ist mit seiner Zeitreise-Idee eine Ausgründung aus dem DT:Hub der DDG (Digital Devotion Group), einem Innovations- und Starterzentrum in Kaiserslautern.
Zum „Zeitreise“-Projekt gehört auch eine von Urban Timetravel entwickelte Smartphone-App namens „VdL-AR“. Sie ist der Ausgangspunkt des Zeitreise-Paketes, bei dem es mit einem Tourguide zunächst zu Fuß durch die Stadt geht und der Besucher mittels Tablet schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf das spätere Abtauchen in die Vergangenheit bekommt. Bei der Vor-Tour werden Gebäude, wie beispielsweise das Rathaus, passgenau mit Bildern oder Filmen aus der Vergangenheit überblendet.
Was unterscheidet das Luxemburger VR-Projekt von Virtual Reality-Touren in anderen Städten? „Wir sind bislang die einzigen, die eine mobile Tour anbieten“, sagt Berdin. „Hinter dem Projekt steckt eine große Kreativleistung. Da wir bei aller historischer Exaktheit, die uns die Archive lieferten, auch viel Fantasie aufbringen mussten, um Gebäude, Fassaden, Dächer und Verzierungen nachzumodellieren.“ Berdin und seine acht Kollegen, alles 3D-Artists und VR-Entwickler, haben die Tour innerhalb von nur sechs Monaten realisiert. Mehr als 1.000 Fotos, Landvermessungskarten und Zensusdaten vom Pfaffenthal standen dafür zur Verfügung. Historische Einwohnerregister gaben Aufschluss darüber, wo beispielsweise ein Metzger, ein Bäcker oder ein Schuster verortet war. „Gemeinsam mit Historikern haben wir Archive durchforstet und auch versucht, uns ein Bild von den Orten zu machen, wo wir keine schriftlichen oder visuellen Anhaltspunkte hatten“, so Johannes Berdin. Anhand von historischen Stadtplänen wurde die Umgebung dann detailgetreu im Computer nachgebaut.
Auch Luxemburgs Bürgermeisterin Lydie Polfer ist begeistert von dem Projekt: „Dank Virtual Reality hat man mehrere innovative Projekte verwirklichen und unserer Vision einer Smart City erheblich näher kommen können“, freut sich Polfer, den Blick bereits in die Zukunft gerichtet: „Mit der DDG, die sich auf die Charakteristika unserer Stadt eingestellt hat, sind weitere gemeinsame Projekte geplant.“
Physiker wie Steven Hawking oder Kip Thorne haben sich immer wieder gefragt, ob Zeitreisen physikalisch möglich sind. Das Timetravel-Konzept von Urban Timetravel löst die Frage zwar nicht physikalisch, dafür aber mit einem riesengroßen Unterhaltungs- und Erlebniswert, dessen Faszination man sich nicht entziehen kann.
„Unsere Grundidee ist, durch verschiedene Zeitepochen zu springen. Und natürlich würde das nicht nur mit der Vergangenheit, sondern auch mit der Zukunft funktionieren,“ so DDG-Chef Alexander Fridhi. Technisch sei es beispielsweise kein Problem, für virtuelles Sightseeing die Berliner Mauer wieder aufzubauen. Und die Chinesische Mauer mit 6 500 Kilometern Länge? „Auch das ist möglich“ sagt Fridhi. „Überall dort, wo wir etwas über die Geschichte wissen und wo uns Bild- und Tonmaterial zur Verfügung steht, kann man sich ein Bild machen, wie es damals ausgesehen hat.“ Unendliche Möglichkeiten also in Sachen VR-Sightseeing. „Genauso gut könnte man sich das Kolosseum in Rom vor 2000 Jahren anschauen und dann aussteigen und die heutigen Mauern anfassen“, sagt Fridhi. „Man könnte ganze Maya-Stätten wiederaufleben lassen, den Bau des Empire-State-Buildings miterleben und auch griechische Tempel könnten auf diese Weise virtuell erlebbar sein.“ Luxemburg ist also erst der Anfang des neuen faszinierenden Zeitreise-Zeitalters.
„Unser Luxemburg-Projekt ist für uns der Beweis, dass wir es können. Der nächste Schritt wird sein, es in die Fläche zu bringen. In alle Städte, die auch Lust auf ein solches Projekt haben“, sagt Johannes Berdin. Anfragen aus Stuttgart, Dubai, Katar, Boston und New Orleans liegen bereits auf dem Tisch. „Unser klares Ziel ist es, unser System in ein paar Jahren auch in den Weltmetropolen zu etablieren.“
VR-Fahrten durch Luxemburg finden jeden Sonntag um 13.30 Uhr und um 14.30 Uhr statt.
Preis: Kinder 10 Euro, Erwachsene 15 Euro
Dauer: Ca. 20 Minuten
Maximal 5 Personen
Die Tickets sind online bestellbar