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Die SPD hat ein Grundsatzpapier mit dem Titel „Gemeinsam für einen neuen Bildungsaufbruch- Gleiche Chancen durch Bildung und Integration“ erarbeitet, das heute auf einem Bildungskongress in Kiel verabschiedet wird. Das Papier wurde von der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles, im Team Steinmeier zuständig für Bildung und Integration, Carola Reimann, verantwortlich für Wissenschaft und Forschung im Team Steinmeier, der Ministerin für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig, verantwortlich für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Team Steinmeier, dem sächsischen Landesvorsitzenden Thomas Jurk, der Fraktions- und Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft, dem Landes- und Fraktionsvorsitzenden im Saarland Heiko Maas, dem Landes- und Fraktionsvorsitzenden in Thüringen Christoph Matschie, dem Ministerpräsidenten Brandenburgs Matthias Platzeck und dem Landes- und Fraktionsvorsitzenden in Schleswig-Holstein Ralf Stegner beschlossen. Es hat folgenden Wortlaut:
Gemeinsam für einen neuen Bildungsaufbruch – Gleiche Chancen durch Bildung und Integration ?
Deutschland bleibt unter seinen Möglichkeiten, allen Menschen gleiche Lebenschancen zu ermöglichen und das wirtschaftliche Potential aus dem Wissen aller Menschen voll auszuschöpfen. Jährlich verlassen 70.000 Jugendliche die Schule ohne einen Abschluss. Besonders Jugendliche aus sozial schwachen Familien bekommen nicht die Chance, einen höheren Schulabschluss zu erwerben. Auch bleiben zu viele Jugendliche ohne Berufsabschluss. Besonders betroffen sind Kinder aus Zuwandererfamilien, weil das Potenzial von Zuwanderern im bestehenden Bildungssystem zu wenig anerkannt und gefördert wird.
Sozialdemokratische Politik für Bildung und Integration setzt auf gemeinsames Handeln von Bund, Ländern und Gemeinden. Alle Glieder der Bildungskette müssen ineinander greifen. Chancen von Kindern und Jugendlichen dürfen nicht an Ländergrenzen und nicht an Kompetenzabgrenzungen verloren gehen. Wir wollen im Grundgesetz die Voraussetzung dafür schaffen, dass eine bessere Kooperation möglich ist. Sozialdemokratische Politik in Kommunen, Ländern und im Bund packt gemeinsam an, um gute und gleichwertige Bildungschancen für alle Menschen sicherzustellen.
Gute Arbeit ist der Schlüssel für ein erfülltes Leben, für soziale und gesellschaftliche Teilhabe. Integration kann nicht gelingen, wenn Menschen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Deshalb müssen Bildung, Ausbildung, Arbeit und Weiterbildung zusammen gedacht werden. Defizite im Bildungssystem sind auch die Wurzel für die unzureichende Integration von Zuwanderern. Die SPD wird deshalb die Bildungs- und Integrationspolitik in einem Ministerium zusammenführen.
Der Zugang zu Bildung muss für alle offen stehen, unabhängig von der sozialen oder kulturellen Herkunft. Die SPD steht deshalb für eine gebührenfreie Bildung von der Kita bis zum Master in der Hochschule. Wir wollen keine Privatisierung der Bildungskosten, sondern klare Rechtsansprüche auf Zugang, Förderung und finanzielle Absicherung, Deutschland braucht ein offenes und leistungsstarkes Bildungssystem. Es ist Zeit für einen neuen Bildungsaufbruch. Dabei wird die SPD gemeinsam folgende Schwerpunkte setzen:
1. Wir bauen die frühkindliche Bildung weiter aus.
Mit einer guten frühen Förderung können die richtigen Weichen gestellt und Benachteiligungen rechtzeitig ausgeglichen werden. Deshalb steht bei uns die Verbesserung der Qualität in den Kindertagesstätten an erster Stelle. Wir wollen den Eltern in ihrer wichtigen Erziehungsarbeit den Rücken stärken. Denn der Grundstein für eine erfolgreiche Bildungsbiographie wird in der Familie gelegt.
? Wir werden die Kindertagesstätten zu Eltern-Kind-Zentren ausbauen. Diese Einrichtungen bieten neben einer qualitativen Kinderbetreuung umfassende Hilfen und niederschwellige Beratungsangebote für Familien. Damit überall dort, wo es notwendig ist, Eltern-Kind-Zentren entstehen können, werden wir diese, aufbauend auf dem Programm für den Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren, auch mit Bundesmitteln fördern.
? Wir haben dafür gesorgt, dass es ab 2013 für jedes Kind vom ersten Geburtstag an einen Rechtsanspruch auf Betreuung gibt. Wir wollen daraus ein Recht auf Ganztagsbetreuung machen. Dazu gehört für uns auch, dass alle Kinder an einem gesunden Mittagessen teilnehmen können.
? Die verantwortungsvolle Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher werden wir unterstützen, die Zahl der Männer in diesem Beruf sowie der Erzieher mit Migrationshintergrund erhöhen und für eine bessere Aus- und Weiterbildung sorgen und damit die Voraussetzungen für eine angemessenere Bezahlung verbessern.
? Wir wollen Kinder so früh wie möglich individuell fördern. Dabei geht es uns um die Stärkung personaler, sozialer, kognitiver, körperlicher und motorischer Kompetenzen. Insbesondere Kinder mit Sprachdefiziten, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, müssen so früh wie möglich individuell gefördert werden. Dabei wollen wir erreichen, dass alle Kinder gut Deutsch sprechen, aber ggf. auch ihre nichtdeutsche Muttersprache. Rechtzeitig vor der Einschulung ist die Sprachkompetenz festzustellen. Wenn Kinder Sprachdefizite zeigen, wird die erforderliche Sprachförderung bedarfsgerecht angeboten.
? Wir wollen die Schulvorbereitung in der Kita stärken und eine verbindliche Zusammenarbeit von Kita und Schule vereinbaren bis hin zu einem gemeinsamen „Haus der frühen Bildung“, damit wichtiges Wissen über die Kinder nicht bereits am Übergang zwischen der ersten beiden Bildungsinstitutionen verloren geht.
2. Mehr Zeit zum Lernen ? Ganztagsschulen ausbauen
Bildung ist mehr als das Anhäufen von abfragbarem Wissen. Es geht immer auch um das soziale und kulturelle Lernen. Dafür brauchen Kinder und Jugendliche Zeit und individuelle Förderung. Im Mittelpunkt steht das Kind mit seinen Stärken und Begabungen. Unser Ziel ist es, dass kein Jugendlicher mehr ohne Abschluss die Schule verlässt.
? Wir werden in einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen für qualitativ gute schulische Ganztagsangebote mit mehr gezielter Förderung und guten Freizeitangeboten sorgen. Dafür ist zusätzliches qualifiziertes Personal notwendig, das die Arbeit der Lehrkräfte im Schulalltag unterstützt. Aufbauend auf dem Ganztagsschulprogramm der rot-grünen Bundesregierung wird die SPD wird im Rahmen der Jugendhilfe ein Programm zur begleitenden Schulsozialarbeit auflegen. Damit überall wo dies notwendig ist, Sozialarbeiter an den Schulen tätig sind.
? Wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler länger gemeinsam lernen können. Das werden wir mit einer besseren individuellen Förderung verbinden. Die SPD wird sich weiterhin für den Ausbau von integrativen Schulformen stark machen. Schulen mit einem hohen Anteil von Migrantinnen und Migranten brauchen einen höheren Personalschlüssel. Das gegliederte Schulwesen wollen wir langfristig überwinden, weil es Kindern viel zu früh Chancen entzieht und Wege verbaut. Dafür brauchen wir einen neuen Bildungskonsens für gute Schule in Deutschland, der Schluss macht mit der extremen Zersplitterung der Schulsysteme.
? Wir werden das Schüler-BAföG wieder stark machen. Denn es darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen, wer Abitur machen kann und wer nicht. Jugendliche aus einkommensschwachen Familien sollen ab ihrem Eintritt in die gymnasiale Oberstufe finanziell unterstützt werden.
3. Ein Recht auf Berufsausbildung für alle Jugendlichen
Für die Mehrheit der jungen Erwachsenen bleibt die Berufsausbildung der Einstieg ins Berufsleben. An dieser Schwelle gehen heute zu viele Menschen verloren, überdurchschnittlich viele mit Migrationshintergrund. Das ist ein Problem für unsere Gesellschaft, aber auch ein Problem für unsere Wirtschaft. Gerade in den Zukunfts- und Wachstumsbranchen werden neue Fachkräfte gebraucht.
? Die SPD bleibt bei ihrer Forderung, dass die Wirtschaft auch in diesem Jahr mindestens 600.000 neue Ausbildungsverträge abschließt. Das ist notwendig, damit alle Jugendlichen ? auch jene, die schon seit längerer Zeit einen Ausbildungsplatz suchen ? versorgt werden können. Sonst wird die Ausbildungslücke von heute ganz schnell zur Fachkräftelücke von morgen.
? Damit Jugendliche den Einstieg ins Berufsleben besser schaffen, wollen wir die Berufsorientierung ab der 7. Klasse an den allgemeinbildenden Schulen verpflichtend und mit gemeinsamen Qualitätsstandards einführen. Wenn längeres Lernen erforderlich ist, um fit für die Ausbildung zu sein, wollen wir dies ermöglichen und dabei die Probleme aber auch Potentiale von Jugendlichen mit Migrationshintergrund verstärkt in den Blick nehmen.
? Für die SPD ist Ausbildung ein Recht, das sich auch in einer 2. und 3. Chance ausdrücken muss. 1,5 Millionen junge Erwachsene ohne Berufsausbildung sind nicht nur zu viele junge Menschen ohne echte Zukunftschancen, sie sind auch verschenktes wirtschaftliches Potenzial. Deshalb wollen wir eine Ausbildungsgarantie für alle, die älter sind als 20 Jahre und weder Berufsabschluss noch Abitur haben. Sie sollen eine Chance in außerbetrieblichen Ausbildungsangeboten bekommen.
4. Offener Zugang und bessere Lehre an den Hochschulen
Der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften wird weiter steigen. Wir wollen mehr jungen Menschen ein Studium ermöglichen. Wir brauchen mehr und besser ausgestattete Studienplätze. Bestehende Hürden müssen beseitigt und der Zugang zu den Hochschulen weiter geöffnet werden.
? Die SPD steht für ein gebührenfreies Studium bis einschließlich zum Master. Wo die Union Studiengebühren eingeführt hat, werden wir sie wieder abschaffen. Wir wollen ein modernes BAföG mit Rechtsanspruch, das der Lebensrealität der Studierenden gerecht wird. Stipendien für wenige greifen zu kurz. Die SPD setzt sich dafür ein, dass in Zukunft auch Teilzeitstudiengänge und weiterbildende Master-Studiengänge gefördert werden. Außerdem werden wir das BAföG regelmäßig an die Lebenshaltungskosten anpassen und die Altersgrenze anheben.
? Wir treten ein für deutlich mehr Studienplätze an den Hochschulen und für die gemeinsame Umsetzung des Hochschulpakts II durch Bund und Länder. Wir wollen dabei insbesondere das „Qualität der Lehre“ verbessern, damit beste Bedingungen für ein erfolgreiches Studium für alle sichergestellt werden. Wir wollen einen bundesweit einheitlichen und erleichterten Hochschulzugang für Fachkräfte ohne (Fach-)Abitur durchsetzen. Auch eine Berufsausbildung plus Berufserfahrung soll den Zugang zur Hochschule eröffnen. Neben den rechtlichen Voraussetzungen ist hier eine kulturelle Öffnung der Hochschulen für Studierende ohne Abitur und aus bildungsfernen Familien notwendig.
? Wir halten an dem eingeleiteten Weg zur Schaffung eines europäischen Bildungsraumes fest. Doch werden wir die Umsetzung des Bologna-Prozesses kritisch überprüfen und dafür sorgen, dass Fehlentwicklungen korrigiert werden. Dabei müssen alle Beteiligten mit einbezogen werden. Wir wollen für die Studierenden mehr Wahlfreiheit, entschlackte Studienordnungen und eine verbesserte Praxisorientierung. Wir wollen, dass nationale und internationale Mobilität im Studium Realität wird. Alle Bachelor-Absolventen, die dies wollen, sollen auch ein Master-Studium machen können.
5. Bildung hört nicht mit dem Abschluss auf ? Weiterbildung stärken
Der Weiterbildung kommt eine wachsende Bedeutung zu, damit die Menschen sich auf die Entwicklungen in Arbeitswelt und Gesellschaft einstellen und sie mitgestalten können. Auch nach der Berufsphase ist Bildung wichtig, um an der Gesellschaft weiter teilhaben zu können. Wir wollen, dass mehr Menschen an Weiterbildung teilnehmen.
? Wir wollen eine Weiterbildung mit System und Rechtsansprüchen. Wir werden die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung fortentwickeln, die Arbeitslosigkeit nicht nur schnell beendet, sondern dabei hilft, sie zu vermeiden. Die Arbeitsversicherung soll Weiterbildung in allen Lebensphasen gewährleisten, u.a. durch einen Rechtsanspruch auf kostenlose Weiterbildungsberatung für Alle zwischen. Bei der betrieblichen Weiterbildung brauchen Betriebsräte mehr Initiativrechte. Gerade für gering qualifizierte Arbeitnehmer muss die Weiterbildung ausgebaut werden.
? Wir werden mit einem neuen Anerkennungsgesetz dafür zu sorgen, dass die Abschlüsse Qualifikationen von Migranten schneller anerkannt werden. Jeder Einwanderer muss spätestens nach 6 Monaten wissen, welcher seiner Abschlüsse und Qualifikationen auch bei uns anerkannt wird. Es muss aufhören, dass viele von ihnen in Deutschland weit unter ihrer Qualifikation arbeiten müssen.
? 500.000 Einwanderer haben einen akademischen Abschluss, der in Deutschland nicht anerkannt wird. Für die Nachqualifikation von Einwanderern wird da, wo es notwendig ist, im Rahmen des Anerkennungsgesetzes ein konkreter Qualifizierungsplan erstellt. Das System der Einstiegsstipendien wird deutlich ausgeweitet, damit mehr Leistungspotenziale von Einwanderern für Integration durch Bildung genutzt werden können.
Gute Bildung gibt es nicht zum Nulltarif. Wir werden mehr Geld in Bildung investieren und die gesamtwirtschaftlichen Bildungsausgaben auf sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass in den nächsten Jahren auf allen Ebenen ein Schwerpunkt auf Bildung gesetzt wird. Nur so können wir gemeinsam die wichtigen Bildungsprojekte finanzieren. Wir werden darüber hinaus einen Solidarbeitrag für Bildung auf sehr hohe Einkommen einführen und damit zusätzliche Mittel für gute Bildung mobilisieren. Die anderen machen großspurige Steuersenkungsversprechen. Wir investieren stattdessen in die Zukunft unserer Kinder: Es ist Zeit für einen neuen Bildungsaufbruch.
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