Ehe ich“s vergesse – neue Gedichte

Ehe ich’s vergesse – Peter Pitsch
 
Wer liest heutzutage noch Gedichte? Wenige Menschen nehmen hin und wieder einen Gedichtband zur Hand; philosophisch durchwebte Bücher und lyrisch verdichtete Texte fallen zunehmend der Missachtung anheim. Wann immer ein Text von realitätsnaher Beschaffenheit die ritualisierten Alltags-Abläufe in Frage stellt, dann wird das unvermeidliche Stolpern, trotz und gerade wegen der Richtungswechsel, allemal zu einem Vorwärtskommen gereichen. Sowohl die innewohnenden Botschaften und geistigen Umkehrschlüsse als auch scheinbar rätselhaft formulierte Erwägungen fordern eine Bewegung über statische Gedankenmuster und Schablonen hinaus. Denn absolut und von vorderhand bestimmt ist die Welt um uns herum bei weitem nicht, und das Aufblitzen des Erkennens inmitten unserer Gedankenstarre lässt begreifen, wie unangemessen selten die eigene Befindlichkeit sich als Egozentrik entlarvt und ein Überschreiten eingeübter Gehirnfunktionen gestattet. Wo an der Grenze zwischen Überraschungsmoment und alltäglich-funktionierender Wahrnehmung Raum für eigene Interpretationen entsteht, finden wir eine Form der Besinnung, die nicht mit Lametta behangenen Klischees hausieren geht, aber Perspektiven erzeugt, die von verkümmerten Ahnungen befreit sind und Forderungen an den Geist stellen.
Ehe der Wirt des Theatercafés naht / mit einem Espresso Macchiato und / lächelnd meine Gedankenfolge bricht / erreicht mich die Erinnerung an dich / nicht weil der Schmerz des Verlustes / noch einmal das Gemüt durchmisst / die eigene Verletzbarkeit freilegt / auch nicht, weil nach deinem Fortgang / die Erlebnisse sich aneinanderreihten / ähnlich den Kleiderfetzen im / Wunderbaumduft eines Secondhandshops. / Vielmehr ist es die nüchterne Vergegenwärtigung / die mich jählings bei den Haarwurzeln packt / und ein Anflug von Erschrockenheit / in Anbetracht meines maßlosen Vergessens.

EHE ICH’S VERGESSE, 42 Gedichte

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