Diese nüchternen Fakten hindern jedoch seit Jahrzehnten die zahlreichen Vertreter der Anti-Zucker-Kampagnen nicht daran, vor dem Suchtpotenzial von Zucker zu warnen. Und sie haben sich mit ihren postfaktischen Behauptungen erfolgreich durchgesetzt: Laut dem aktuellen Insa-Meinungstrend glauben inzwischen rund 60 Prozent der Bundesbürger, dass der Genuss von Zucker genauso süchtig machen kann wie der Konsum von Alkohol oder Nikotin. Das ist ein krasses Ergebnis, das zeigt, wie sich ideologische Meinungsmache kontra Fakten durchsetzen kann. Im Fall von Zucker ist es natürlich nicht annähernd so problematisch wie z. B. die Phänomene Brexit oder Trump. Immerhin geht es jedoch um einen wichtigen Nahrungsbaustein, der für die lebensnotwendige Energieversorgung der Körper- und Nervenzellen gebraucht wird. Und nicht nur das: Die vehement geführten Anti-Zucker-Kampagnen sind vor allem auch ein Angriff auf das Bedürfnis nach Genuss, denn Menschen haben eine angeborene Vorliebe für Süßes. „Aber sich mit der Ernährung gut zu fühlen oder sie gar zu genießen, scheint heute verdächtig geworden zu sein“, mutmaßt der Wirtschaftspublizist Detlef Brendel, Co-Autor des lesenswerten Buches „Die Zucker-Lüge“ (Ludwig-Verlag).
Wissenschaftlich unbestritten ist, wer täglich bergeweise Äpfel oder Unmengen von Broccoli oder Rucola isst, schadet seiner Gesundheit genauso wie diejenigen, die literweise zuckerreiche Softgetränke in sich reinschütten. Extrem einseitige Ernährungsverhaltensweisen, die bei süßen Lebensmitteln in der Tat häufiger auftreten als bei Broccoli oder Rucola, aber als postfaktischen Beleg für das Suchtpotenzial eines Nährstoffs zu nutzen, ist einfach nur blöd.